Essay

Ich hab‘ in meinem Leben noch nie so richtig gearbeitet!

Während ein 9-jähriger Schüler mit Begeisterung Apfelringe schneidet, kommt ihm die oben zitierte Aussage aus tiefster Seele – sichtlich stolz auf das Ergebnis seiner Arbeit und glücklich darüber, etwas für die Gemeinschaft „gearbeitet“ zu haben. Die fertigen Apfelringe werden ja schließlich mitgenommen und in den nächsten Wochen gemeinsam in der Klasse gegessen. Sicherlich werden diese allen besonders gut schmecken!

Diese Szene ereignete sich während eines „Bauernhoftages“ der 3. Klasse, die zu uns gekommen war, um Apfelsaft zu pressen. Da nicht alle 16 Kinder gleichzeitig an der Obstmühle und Presse arbeiten konnten, gab es nebenbei noch allerlei andere Tätigkeiten, die im Herbst zu tun sind, wenn man seine Lebensmittel weitgehend selbst produziert. Herbstliches Haltbarmachen in Form von Saft pressen, Sauerkraut einschaben, Suppengrün schnipseln, Käferbohnen auslösen und – siehe oben –  Apfelringe zum Trockenen aufschneiden.

Obwohl es ein kalter, regnerischer Tag war, lies sich die Begeisterung der Kinder für ihr  Tun nicht zu bremsen.  Eine  Beobachtung, die wir oft machen, wenn Kinder die Möglichkeit bekommen, sinnvoll tätig zu sein. Kein Wetter ist zu schlecht, keine Arbeit zu uninteressant oder anstrengend, solange sie von den Kindern als sinnvoll und wichtig für die Gemeinschaft erlebt wird. Viel zu selten gibt es in unserer heutigen Zeit diese Gelegenheit für junge Menschen, so „richtig zu arbeiten“.

Während unserer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersstufen erleben wir oft eine gewisse Art von Ergriffenheit, wenn die jungen Menschen nach getaner Arbeit glücklich ihr Werk betrachten. Sei es ein fertig gejätetes Gemüsebeet, eine Schüssel voller Ribisel oder das Heu, das noch rechtzeitig vor dem Regen in die Scheune gebracht wurde. Immer ist es ein Gefühl tiefster Befriedigung, etwas geschafft zu haben. Das Wort schaffen bedeutet schließlich auch, schöpferisch tätig zu sein und genau das brauchen Menschen. Sie wollen real in die Welt eingreifen, in ihr etwas gestalten und vor allem wollen sie damit auch für die Gemeinschaft, der sie angehören, etwas Sinnvolles tun. Das ist schon bei Kleinkindern deutlich zu erleben, die „selber machen“ und „helfen“ wollen.

Tatsächlich ist es heute so, dass es viel zu wenig dieser wirklich sinnvollen Tätigkeiten für Heranwachsende junge Menschen in dieser Welt gibt. Wirklich verwende ich hier ganz bewusst im Wortsinn, nämlich, dass Menschen mit ihrem Tun wirksam sein und etwas bewirken wollen. Der deutlich sichtbare Trend zu DIY und nachhaltigem Leben ist ein Ausdruck für dieses Bedürfnis jedes Menschen, etwas in seinem Umfeld zu schaffen und zu bewirken.

Während allerorts in der Bildungslandschaft das Mantra von der digitalen Kompetenz postuliert wird, setzen wir von der Lernmanufaktur bewusst auf die Förderung der analogen Kompetenzen. Es ist uns dabei wichtig, dass es sich dabei um sinnvolle Tätigkeiten handelt, die unmittelbare Auswirkungen auf das Lebensumfeld haben. Demgegenüber steht ein simpler Aktionismus, ein sinnentleertes Tun, das keinen Zusammenhang mit der Lebenswirklichkeit hat, sondern als „Beschäftigungstherapie“, als Basteln von „Staubfängern“ bei Kindern und Jugendlichen oft auf Widerstand stößt. Die berechtigte Frage „Wozu machen wir das?“ und die Kritik „Das braucht doch keiner“, die PädagogInnen, LehrerInnen und Eltern mitunter zu hören bekommen, sind in diesem Licht betrachtet verständlich und berechtigt.

Junge Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, was „Beschäftigungstherapie“ und was „sinnvolles Tun“ ist. Für uns Erwachsene, gilt es, den subtilen Unterschieden genau nachzuspüren, diese selbst wieder fühlen zu lernen und sie an den Reaktionen unseres Gegenübers zu erkennen. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, dass jede Tätigkeit immer „Spaß“ machen muss! Gerade im sinnvollen Tun ist es gefordert, Dinge auch einmal zu Ende zu bringen, egal ob es nun Spaß macht oder nicht, sondern weil es die Lebensrealität verlangt, weil es notwendig ist! Es ist nun einmal so, dass beispielsweise unsere Esel jeden Tag ihr Futter haben wollen, ganz egal, ob es draußen regnet, stürmt oder schneit. Es ist alles andere als angenehm oder „spaßig“, am Morgen bei strömendem Regen noch vor dem Frühstück hinaus zu müssen um die Tiere zu füttern und den Stall auszumisten. Trotzdem ist diese Arbeit sinnvoll und notwendig. Jugendliche, die für ein Praktikum bei uns sind, machen diese Arbeit und noch nie haben wir diesbezüglich Kritik gehört.

Das Überwinden von (Motivations-)Krisen ist geradezu elementarer Bestandteil des sinnvollen Tuns. Gelingt es, diese Krisen im Kleinen zu bewältigen und dann tief erfreut zu erleben, wie z.B. eine mühsame Schnitzarbeit doch noch zu einem gelungenen Ergebnis geführt hat, dann lernen die jungen Menschen daran nicht nur die konkrete Tätigkeit und konkrete Zusammenhänge. Sie erleben vor allem auch, dass es sich lohnt, einmal durchzuhalten, nicht aufzugeben und auch gegen Widerstände bei einer Sache zu bleiben und sie zu Ende zu bringen. Haben sie viele Krisen im Kleinen überwunden, können sie  großen Krisen im Leben mit derselben Zuversicht begegnen, dass sie gestärkt und erfreut daraus hervorgehen werden.

Die eingangs genannten Beispiele zeigen eine Palette an Möglichkeiten auf, wie Kindern und Jugendlichen die Erfahrung des sinnvollen Tuns zuteil werden kann. Wir haben mit der Lernmanufaktur den Raum geschaffen, um jungen Menschen Erfahrungen zu ermöglichen, die sie mitnehmen und hinaustragen können in ihr Leben.

Mit unserer Tätigkeit möchten wir zeigen, dass das Lernen, wie es vielerorts noch immer verstanden wird, keinesfalls an der Schultüre beginnt. Praktisches Tun sollte keine Abwechslung, keine Ergänzung des schulischen Lernens, sondern – im Gegenteil – essentieller Bestandteil des Lernens sein. Unsere Vision ist, dass alles Lernen aus dem praktischen Tun erwachsen sollte, denn nur so wird das Erlernte lebendig. Durch das Verknüpfen von erlerntem Wissen und wirklicher Erfahrung kann Wissen zur Erkenntnis werden.

Wir sind nicht allein mit dieser Vision. Der große Pädagoge Hartmut von Hentig schreibt zu diesem Thema: „Ich wünsche (…) dass junge Menschen erfahren, was eine Gemeinschaft ist, was sie gibt und fordert – eine größere als die Familie, in die sie hineingeboren sind, und eine weniger künstliche und zufällige als die Schulklasse, in die man sie hineinverwaltet hat; sie sollten eine Gelegenheit haben, als ganze Person die verfasste Gemeinschaft, in und von der sie leben, wahrzunehmen; dieses Erlebnis sollte so sein, dass sie vieles von dem, was sie lernen , für die Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft einzusetzen bereit sind, ja dass sie zu einem großen Teil um ihretwillen – um ihrer Fortsetzung und Vervollkommnung willen – lernen“ (Hentig, 2007, S. 17).

Lernen aus der Gewissheit des Sinnhaften und Wirksamen für sich als Mensch und für das Miteinander in der Gemeinschaft können die ersten Schritte auf den Weg in eine friedliche Zukunft sein.

Literatur:

Postman, N. (2009). Das Verschwinden der Kindheit. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Postman, N., & Richter, T. (1998). Der Auftrag der Schule heute. Wirklichkeit und Unwirklichkeit in der Erziehung. Stuttgart: Mayer manuskript.

Rosa, H. (2017). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.

Rosa, H., & Endres, W. (2016). Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert. Weinheim: Beltz Verlag.

Hentig, H. v. (2007). Bewährung. Von der nützlichen Erfahrung nützlich zu sein. Weinheim: Beltz Taschenbuch.

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Renate Sprügl

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