Essay

Mit der Welt in Beziehung treten

Die Lernmanufaktur hat es sich zum Ziel gesetzt Lern- und Erfahrungsräume für Menschen zur Verfügung zu stellen. Was wir wollen ist damit schnell gesagt, aber warum halten wir das für einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag in der heutigen Zeit?

Blicken wir uns ein wenig um in dieser Welt, so erscheint es uns notwendiger denn je, lebendige Erfahrungen sammeln zu können. Das technisierte und digitalisierte Leben, das viele Menschen heute führen, entfernt zunehmend von der Natur und vom realen (Er-)Leben.

Two sides of the same coin

Wir können das an unseren Besuchern – egal welchen Alters –  beobachten: Manche haben eine Scheu, oder sogar Angst davor, die Erde zu berühren, die sie als schmutzig, unhygienisch oder gar ekelerregend empfinden. Eine geradezu hysterische Angst oder Ekel ergreift viele angesichts von Insekten jeder Art. Selbst Bienen oder Hummeln – die bekanntermaßen als schützenswert gelten, lösen diese Reaktionen aus.  Ein paradoxer Widerspruch zum eifrigen Unterschreiben von Petitionen gegen das Bienen- und Insektensterben. Offenbar sollen die Tierchen zwar leben, „aber bitte nur weit weg von mir“! „Echte“ Natur wird vielfach als Bedrohung, schmutzig, unhygienisch oder gar ekelerregend empfunden.

Gleichzeitig beobachten wir, dass andere, „liebe“ Tiere geradezu als „animierte Stofftiere“ begriffen werden. Völlig bedenkenlos lassen manche Eltern ihre Kleinkinder direkt hinter dem 350 kg schweren Esel stehen, schauen sorglos zu, wenn der kleine Filius mit Vollgas gegen den 60kg-Hund knallt und verlassen sich dabei offenbar darauf, dass unsere Tiere ohnehin gutmütig sind. Das sind sie auch, dennoch bleiben sie Tiere, die einfach einmal zur Seite treten oder voller Schrecken zuschnappen könnten. Sie sind – bei aller Gutmütigkeit – nicht in der Lage, darauf Rücksicht zu nehmen, dass ein Kleinkind sorglos und ungestüm sein kann. Sie sind nicht „per Knopfdruck“ steuerbar, sondern verfügen über natürliche Instinkte, haben ein Eigenleben und Launen.

Das, was wir im Alltag beobachten, nämlich, dass Natur mangels authentischer Erfahrungen entweder als Angst einflößend und fremd oder als niedlich und „immer wunderbar“ empfunden wird, stellt auch Richard Louv in seinem Buch „Last child in the woods“ fest: „The bad news is that children either idealize it [the nature] or associate it with fear – two sides of the same coin, since we tend to fear or to romanticize what we don’t know“ (Louv, 2005, S. 134).

Resonanz

Durch ein wirkliches Erleben der Natur kann erst eine Beziehung zu ihr aufgebaut werden. Die Sinneswahrnehmungen und die Gefühle, die an diesem Erleben beteiligt sind, lassen uns als Teil von ihr spüren, in gewissen Sinne „spricht“ die Natur dann mit uns. Wir spüren uns und die Welt, die uns umgibt, wir verbinden uns mit ihr. In seinem Buch „Resonanz“ spricht Hartmut Rosa von „Weltanverwandlung“ und meint damit das intensive „in Beziehung treten“ des Menschen mit seiner Umwelt. Laut Rosa ist Resonanz eine „Schlüsselkategorie für die Suche nach einem neuen Maßstab gelingenden Lebens“. Dem gegenüber steht die „Weltentfremdung“, das „Stummwerden“ der Welt.  Menschen, die von der Welt entfremdet sind, erscheint diese stumm, leer und nichtssagend, sie stehen ihr gleichgültig gegenüber, können keinen Beziehung zu ihr herstellen. Dies hat starke Auswirkungen auf das gesamte Leben eines Menschen.

Umso wichtiger ist es daher, Berührung und Erfahrungen mit der Welt und mit der Natur zu ermöglichen. Nur da, wo eine Beziehung zur Natur aufgebaut wird, entsteht auch der Impuls, dieselbe zu achten und zu schützen. Gelebter Naturschutz beginnt da, wo Menschen die Natur wirklich kennen und damit auch schätzen lernen. Nur was ich kenne und schätze, möchte ich auch schützen. Um beim eingangs zitierten Beispiel zu bleiben: Wenn mir Insekten tief in meinem Inneren Angst einflößen oder wenn sie mir gleichgültig sind und „nichts sagen“, bleiben alle Bekenntnisse gegen das Insektensterben hohle Worte.

Die Welt erleben

Wir leben in einer Welt, in der unberührte Natur immer seltener wird, in der viele Erlebnisse sich in den virtuellen Raum verlagern und viele Kinder bereits „entfremdet“ von der Natur aufwachsen. Es fehlen vielerorts die Gelegenheiten oder die Ideen dafür, Kindern authentische Erfahrungen in der Natur zu ermöglichen.

Weil wir der Ansicht sind, dass es heutzutage gerade für junge Menschen von unermesslicher Bedeutung ist, lebendige Erfahrungen sammeln und im Tun die Welt erfahren zu können, stellen wir unser „kleines Paradies“ zur Verfügung. Mit unserem vielfältigen Angebot wollen wir dazu einladen, authentische Erfahrungen zu sammeln und so mit der Welt in Beziehung zu treten.

Literatur:

Louv, R. (2010). Last child in the woods. Saving our children from Nature-Deficit Disorder. London: Atlantic Books.

Rosa, H. (2017). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.

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Renate Sprügl

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Renate Sprügl

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